Rose
Es war kurz nach Sonnenaufgang, als die kleine Streunerin Rose blinzelnd die Augen aufschlug. Der Hunger hatte sie geweckt und ein leises Aufstöhnen entfuhr ihr, als ihr Magen erneut grummelte und sie sich daran erinnerte, wie lange sie schon nichts mehr gegessen hatte. Es ist zum verrückt werden! Diese kalten Tage sind einfach immer die schlimmsten. Man hatte es eben nicht leicht, wenn man alleine lebte, ohne Begleiter oder Freunde. Ihr Tagesplan sah immer gleich aus: aufstehen, Essen suchen, die Umgebung auskundschaften und sich dann einen sicheren Schlafplatz suchen. Die junge Kätzin war froh gewesen am Rand des Waldes das große Buschwerk gefunden zu haben, welches die Kälte nicht seiner Blätter beraubt hatte und in welchem sie über Nacht Zuflucht gesucht hatte. Sogar das Gras auf dem sie lag war weicher als sonst und in ihrer Nase sammelte sich der angenehme Geruch von Harz und Moschus, welchen die Bäume hinter ihr ausströmten.
Schon eine ganze Weile war Rose durch die Gegend gelaufen und hatte nach einem Platz gesucht, an dem sie länger als ein oder zwei Nächte bleiben konnte. Große bunte Kasten und harte graue Wege hatte sie auf der Reise bis zum Wald gesehen. War an anderen großen Tieren vorbeigekommen und hatte in einem Klotz aus Holz und Stroh sogar andere Katzen getroffen, welche ihr Heim als "Scheune" bezeichneten. Dort war es schön, es gab sogar genug Mäuse für alle, da sich die Nagetiere in der Wärme der Scheune anscheinend wohl fühlten. Doch es hatte die Graue auch dort nicht lange gehalten. Ihre ewige Reiselust war manchmal eine Plage, doch führte sie sie auch zu immer neuen Orten, an denen sie schon die unterschiedlichsten Erfahrungen gesammelt hatte.
Aber nun Schluss mit den Tagträumerein! schimpfte sie sich selbst. Die Beute rennt mir nicht ins Maul, wenn ich den ganzen Tag nur da liege. Und obwohl Rose gerne noch etwas die Ruhe ihres Nests genossen hätte und den ersten Vögeln etwas genauer beim Zwitschern gelauscht hätte, rappelte sie sich auf, streckte den ausgehungerten Körper und glitt mit einer eleganten Bewegung aus ihrem schützenden Nest hinaus, wo sie die noch kühle Luft des Morgens empfing.